„Führungskräfte, die ihrer Intuition vertrauen, leben und arbeiten leichter“, sagt Dr. Christian Häusler. Der Unternehmer, Coach und Berater hat als junger Wissenschaftler ein Jahr bei einem indigenen Volk gelebt. Im Interview verrät er, wie die ethnologische Feldforschung in Panama seine Sicht auf Leadership und Unternehmenskultur bis heute prägt.

 

Warum ist die Intuition im Business so wichtig?

Wenn wir wichtige Entscheidungen für unser Leben treffen, folgen wir oft nicht dem Verstand, sondern vertrauen unserer Intuition. Wir füllen keine Pro-und-Contra-Listen aus, wenn wir die Partnerin oder den Partner für das Leben suchen. Wir vertrauen darauf, dass uns unser Gefühl sagt, was richtig ist.

Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere wahre Natur im Kern intuitiv ist. Ich gehe noch weiter und behaupte: Intuition wird als eine zentrale Schlüsselressource unserer Zeit immer bedeutsamer werden.

Oder anders gesagt: Wer gut mit sich verbunden ist und seiner inneren Stimme vertraut, lebt und arbeitet leichter. Denn die Intuition schafft es, Fach- und Führungskräfte durch diese komplexe und dynamische Welt zu navigieren. So vereinfacht sie das Leben und die Arbeit.


Was hindert Unternehmer und Manager daran, im Business ihrer Intuition zu folgen?

Intuition hat mit Fühlen und Gefühlen zu tun. Besonders im Berufsleben haben wir verlernt, unserem Bauchgefühl zu vertrauen. Manager und Unternehmer vertreten mehrheitlich die Ansicht, Gefühle seien aus dem Business zu verbannen. Wer in der Wirtschaft erfolgreich sein will, wägt sorgsam ab und entscheidet rational, anstatt sich von Gefühlen vernebeln zu lassen. Das ist unser Erbe aus der Epoche der Aufklärung. Am 22. April dieses Jahr jährt sich der Geburtstag von Immanuel Kant zum dreihundertsten Mal. Er war es, der die Vernunft und den Verstand als die wichtigsten Grundlagen des menschlichen Handelns in den Fokus rückte. Eine wertvolle Errungenschaft dieser Zeit.

Doch heute erkennen wir: Kopf, Herz und Bauch sind aus der Balance geraten.

 

Was kann die Intuition in unserer Ära von New Work und Agilität konkret leisten?

Unsere Welt ist unvorhersehbarer denn je und kaum mehr planbar. Führungs- und Fachkräfte sind gefordert, Entscheidungen zu treffen, ohne auf Evidenzen und Erfahrungen zurückzugreifen. Die Wirtschaft braucht also Menschen, die bereit und zugleich fähig sind, intuitiv zu entscheiden. Die Intuition beschleunigt Entscheidungsprozesse. Und sie unterstützt Menschen auch im Berufsleben dabei, sich selbstbewusst für oder gegen eine Sache oder Person auszusprechen. Die Intuition ist gerade dann wertvoll, wenn Menschen nicht in der Lage sind, jede mögliche Konsequenz ihres Entschlusses zu Ende zu denken. Eine sehr wichtige Rolle spielt die Intuition auch in der Mitarbeiterführung. Gute Führungskräfte sind fachlich qualifiziert und bringen Führungs-Know-how mit.

Künftig werden Vorgesetzte vor allem an ihrer emotionalen und sozialen Kompetenz gemessen. Diese wiederum ist ohne Intuition nicht möglich.

 

Woran erkennst du, dass in den westlichen Industriegesellschaften der Kopf dominiert und Herz und Bauch zu kurz kommen?

Es gibt Menschen, die gehen nicht aus dem Haus, ohne vorher einen Blick auf ihre Wetter-App zu werfen. Sie haben offenbar ihr Gefühl für das Wetter und die Natur komplett verloren. Kaufentscheidungen sind ein anderes Beispiel. Viele kaufen einen Artikel nur, wenn sie Unmengen an Kundenbewertungen gelesen haben. Sie vertrauen offensichtlich sich selbst und ihrem eigenen Gespür nicht mehr. Als Ethnologe beschäftige ich mich seit nunmehr dreißig Jahren mit indigenen Kulturen. Ich hatte das Glück, als junger Wissenschaftler ein Jahr bei dem Stamm der Ngäbe in Panama zu leben. Die indigenen Völker sind uns weit voraus, wenn es um Intuition geht. Moderne Techniken und wissenschaftliche Erkenntnisse kennen und nutzen die meisten kaum. Stattdessen leben sie eng verbunden mit der Natur.


Welche Erkenntnis hat dir das indigene Volk aus Panama mit auf den Heimweg gegeben?

Wir Menschen brauchen einen kulturellen und spirituellen Bezug zu unseren Wurzeln. Nur dann spüren wir uns selbst und vertrauen unseren intuitiven Entscheidungen. In unseren modernen westlichen Gesellschaften haben wir den Kontakt zu uns selbst verloren.

Das ist wesentlich. Wer sich mit seiner Intuition verbindet, spürt sich selbst, direkt und unmittelbar. Wie sonst lässt sich erklären, dass so viele Menschen Therapeuten, Coaches und Berater aufsuchen, um ihre Gefühle und Gedanken zu ordnen und sich selbst besser zu verstehen? Eine andere erhellende Erkenntnis ist: Glück und Zufriedenheit haben rein gar nichts mit ökonomischem Wohlstand zu tun. Ich habe nirgendwo auf der Welt Menschen getroffen, die so ausgeglichen und zufrieden waren wie unter den indigenen Völkern. Sie besitzen eine andere Form von Reichtum: ihre Gemeinschaft und ihre gelebten kulturellen Werte.


Was ist die wichtigste Lektion, die wir in unserer westlichen Welt von den indigenen Völkern lernen können?

Das Volk der Ngäbe, das ich erforscht habe, lebt und bewegt sich in einem engen verwandtschaftlichen Netzwerk.

Die Verbundenheit der Familie trägt das Kollektiv und das Individuum. Die Indigenen folgen Verhaltensregeln, die mir zunächst einschränkend erschienen. Schnell habe ich begriffen: Die persönliche Freiheit konnte sich jedoch nur entfalten, weil die Regeln der Gemeinschaft existierten.

Hast du dafür ein Beispiel?

Ich erinnere mich an Bacú. Der junge Mann war sechzehn Jahre alt, als ich ihm in dem kleinen Bergdorf Boquete begegnete. Wie viele seiner Stammesbrüder arbeitete er dort bei der Kaffeeernte. Er war mit seinem Onkel gekommen. Seine Familie brauchte dringend das Geld. Bacú wirkte schüchtern. Nach und nach gewann ich sein Vertrauen. Er offenbarte mir, wieviel er täglich verdiente. Und er erzählte, wie die Weißen die Arbeiter behandelten. Plötzlich verschwand er. Zufällig traf ich ihn ein paar Wochen später im traditionellen Siedlungsgebiet wieder, etwa hundert Kilometer von Boquete entfernt. „Warum bist du weggegangen?", fragte ich. Er antwortete: „Der Besitzer der Plantage hat mich schlecht behandelt und bezahlt. Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten." Ich bewunderte Bacú für seinen Mut, trotz finanzieller Nöte seinem Gefühl zu vertrauen. Er spürte, dass ihm das Leben in Boquete mehr schadet als nützt und hat für sich entschieden.

 

 

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Ganz bei mir und ganz bei dir: Der Intuition auf der Spur

Die innere Stimme bewusst zu hören und feinfühlig seiner Lebensspur zu folgen, gilt in unserer komplexen Welt mehr und mehr als Schlüsselkompetenz. Ermutigend ist: Jede und jeder kann es lernen, die Intuition zu 'lesen' und das Wissen aus dem Feld für sich und andere praktisch zu nutzen. Hier setzt Susanne Kleiners 5-tägiges Präsenzseminar an. Seien Sie dabei, sei dabei: für mehr Klarheit und Tiefe im Privatleben und Beruf.

 

Was empfiehlst du als Ethnologe, Berater und Coach Führungskräften, die ihre Unternehmenskultur transformieren und wirksam führen wollen?

Erstens sehe ich das Potenzial starker Teams, die sich Regeln geben und gleichzeitig die persönliche Freiheit jedes Mitglieds unterstützen. Wem es gelingt, eine Teamkultur zu schaffen, die jeder und jedem Einzelnen Rückhalt, Sicherheit und Anerkennung gibt, hat zufriedene Mitarbeiter im Team. Zweitens heißt das:

Menschen brauchen sowohl klare Regeln als auch große persönliche Freiheit. Führungskräfte, die das verinnerlicht haben, führen intuitiv und der Situation angemessen. Einmal sorgen sie für Klarheit und geben Orientierung. Ein anderes Mal gewähren sie Freiheit und fördern Selbstbestimmung.

Auch hier spanne ich einen Bogen zur Intuition. Gute Führungskräfte beherrschen natürlich Führungsmethoden. Doch gleichzeitig spüren sie intuitiv, was Menschen in bestimmten Situationen brauchen. Ganz gleich, wie ich das Thema drehe und wende: 

Ich plädiere dafür, dass wir Intuition und unseren Gefühlen wieder mehr Aufmerksamkeit schenken. Wir sind dann stark, wenn wir unsere Intuition bewährten Tools und rationalen Kompetenzen als wertvolle Beraterin zur Seite stellen.


Lieber Christian, was bedeutet Intuition persönlich für dich und wann hat sie dir zuletzt einen Ehrendienst erwiesen?

Intuition ist für mich die Stärke, aus dem Gefühl heraus spontan eine Situation oder einen Menschen einzuschätzen. Das erfordert ein hohes Maß an Sensibilität gegenüber der Außenwelt. Meine Intuition hilft mir im Coaching. Meist spüre ich bereits nach wenigen Minuten, in welchem Gemütszustand mein Coachee ist. Es ist so wichtig, dass wir lernen, uns aufeinander einzulassen. Dann entstehen sehr schnell Nähe und Vertrautheit. Beides ist im Coaching essenziell, damit sich Menschen öffnen. Führungskräften empfehle ich, alle Ablenkungen zu vermeiden, wenn sie Gespräche mit ihren Mitarbeitenden führen.

Intuition und Empathie stellen sich ein, wenn ein Mensch ganz im Hier und Jetzt ist und seine Aufmerksamkeit allein seinem Gegenüber schenkt. Also: Handys weglegen, Laptops zuklappen und intensive Begegnungen zulassen.

Das signalisiert Wertschätzung und tut uns auch selbst gut.


Herzlichen Dank für das Gespräch, lieber Christian.

 

Dr. Christian Häusler ist Leadership Coach und Kulturentwickler aus München. Mittelständische Betriebe und Konzerne vertrauen ihm als Consultant, Sparringspartner und Moderator, um Führungskräfte und Teams fit für die VUCA*-Welt zu machen. Die unternehmerische Vision des promovierten Kulturanthropologen ist es, Wertschätzung und ökonomischen Erfolg zu verbinden. Sein Ziel ist eine gesunde Balance zwischen Individualität und Gemeinschaft in Organisationen. Zuvor leitete der Immobilienökonom als geschäftsführender Gesellschafter die Personalentwicklung eines mittelständischen Beratungsunternehmen und begleitete zahlreiche Unternehmen bei ihrer Suche nach einem idealen Bürostandort.

www.dr-christianhaeusler.de

Dr. Christian Häusler auf LinkedIn

 

*VUCA ist ein Kürzel aus den Anfangsbuchstaben der vier englischen Begriffe Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. VUCA beschreibt, wie flüchtig, unsicher, komplex und mehrdeutig unsere digitale Welt ist.

 

Ein persönliches Wort zum Schluss: Christian bin ich vor fünf Jahren in der Ausbildung zum Systemischen Coach Advanced zum ersten Mal begegnet. Wir haben uns gegenseitig gecoacht und angeregt ausgetauscht. All die Jahre haben wir Kontakt gehalten. So hat er schließlich an einem meiner Workshops zum intuitiven Schreiben teilgenommen. Das Thema: "Mit Empathie so nah wie nie." Wir haben uns auch darüber begeistert unterhalten und sind über die Empathie bei der Intuition gelandet. So ist dieses Interview entstanden. Es hat Spaß gemacht. Danke, lieber Christian, für diese wertvollen Einblicke.

  

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